fibres

Galerie Daniel Marzona / Berlin / 6.9. – 19.10.2019

Holzapfel beschäftigt sich seit zehn Jahren vertieft mit natürlichem Material und Raum. In der Ausstellung zeigen wir neue Strohbilder und eine Arbeit aus Reet. Eine Faser ist der kleinste Teil natürlicher pflanzlicher Stoffe. In ihrer wiederholten Anordnung prägen die Fasern die Organisation und Erscheinungsform der Materialbilder und Skulpturen. In Holzapfels Bildern spielen Licht, Farbe, tatsächliche und illusionistische Bildräumlichkeit eine zentrale Rolle. Die Bilder suchen den Riß zwischen Abbild und Abgebildeten zu überwinden und beschreiben direkt, was sie sind.  Sie sind somit mimetisch und dennoch völlig gegenstandslos und eröffnen gleichsam Räume, die vom konkreten Material ausgehen. Beim Betrachten wechselt man ständig die Perspektive:  Sehen wir Material oder einen Bildraum? Das ist auch durchaus ein zentrales Anliegen des Künstlers, der das ‘dazwischen sein’ schon in seinem Beitrag zur Documenta 14 “ZAUN“ ausformulierte.  Auch die Skulptur „Mantel“, die einzelne Schilfrohrbündel zu einer gebogenen Wand schichtet, führt den Gedanken der Arbeit  „ZAUN“ weiter. In der gleichzeitigen Betonung von Material, Sprache, Information und medialer Reflektion spielt hierbei nicht nur das Sichtbare eine Rolle, sondern auch das Erspüren der Gleichzeitigkeit verschiedenster medialer Räume – Exformationen und Informationen in einer von Daten getriebenen Welt.

In einem Text zu Karl Heinz Adler beschrieb der Künstler den Barock als Aufbruch in  die Moderne, der sich in Romantik und Klassizismus verzweigt und als moderne Form das Fließende der verschiedenen Dinge zwischen Technik und Natur vereint. Da wir fortlaufend in diesen Prozessen aus Teilen gefangen sind, wird das, was wir im Hier und Jetzt empfinden, auch immer weiter verzweigt. So zeigen und beschreiben die von Holzapfel gewählten Materialien Stroh, Holz, Reet und Heu einerseits die Permanenz des sich Aufteilens und auseinander Hervorgehens als immer wiederkehrenden natürlichen Prozess.

Im Titel der Ausstelung ‘Fasern’ klingen darüber hinaus Assoziationen zu Aus-gefranstem, Aufgetrennten, und zu etwas, das zerfasert und in seine Bestandteile auseinanderfällt oder sich aus diesen zusammensetzt, an. Die natürlichen Materialien spiegeln historisch eine atomistische Perspektive, die seit Lukrez und den Naturforschern des 18. Jh. zur europäischen Aufklärung gehört. Aus dieser Perspektive kann die Romantik auch als eine Reflektion der frühen Phase der Industrialisierung gelesen werden, die die Natur als ein durchdringendes Ereignis begriff und beispielsweise Wetterphänomene oder Farbe wie bei Runge oder C.D. Friedrich direkt mit der Naturwissenschaft verband. In der späteren Weltwahrnehmung, die spätestens seit den kybernetischen Modellen in der zweiten Hälfte des 20 Jh.  u.a. durch Heinz von Foerster entwickelt wurde, wird Natur dann zu Information und Modell. Ihre Sprache kommt aber direkt aus dem Material. Indem Holzapfels Arbeiten diese Sprache erklingen lässt, stoßen seine materialbezogenen Arbeiten auch ein verändertes Umweltbewußtsein an und eröffnen ihre politische Dimension. Im Einklang mit der Land Art fordern sie – ohne agitatorisch zu sein – eine respektvolle Haltung  gegenüber der Umwelt ein. Ausgehend von dieser Haltung erscheint das Verhältnis der medial geprägten Stadträume und der sie umgebenden Landschaften neu bestimmbar.

For the last ten years, Holzapfel has been delving into natural materials and space. In the exhibition, we are showing new straw pictures and a work made of reeds. A fiber is the smallest component of natural plant-based materials. In their repeated arrangement, fibers shape the organization and appearance of the material pictures and sculptures. In Holzapfel’s pictures, light, color, and real and illusionistic pictorial spatiality play a central role. The pictures seek to overcome the rupture between depiction and what is depicted; they describe directly what they are. They are thus mimetic and yet completely nonrepresentational; it is as if they open up spaces that start in the concrete material. Viewing them, one constantly changes perspective: are we seeing material, or a pictorial space? This is definitely one of the artist’s central interests; he already formulated “being in between” in “FENCE”, his contribution to the documenta 14. The sculpture “Coat”, a single bundle of reeds layered to create a bent wall, also carries the idea of the work “FENCE” further. In the simultaneous emphasis on material, language, information, and media reflection, what is visible is not the only thing that plays a role; so does sensing the simultaneity of the widest variety of media spaces – exformation and information in a world driven by data.

In a text on Karl Heinz Adler, the artist described the Baroque Period as the beginning of Modernism, which divides between Romanticism and Classicism and, as a modern form, unites the flowing of various things between technology and nature. Since we are continuously caught in these processes made of pieces, what we feel in the here and now also continues branching. Thus, the materials Holzapfel chooses – straw, wood, reeds, and hay – show and describe the constancy of division and arising from and apart from each other as a recurring natural process. The title of the exhibition, “FIBERS”, also triggers associations of fraying, unraveling, and what frays to come apart in its components or what composes itself from them. The natural materials historically reflect an atomistic perspective that has been part of the European Enlightenment since Lucretius and the naturalists of the 18th century. From this perspective, the Romantic Era can also be read as a reflection of the early phase of industrialization, which understood nature as being a suffusing event. For example, the Romantic artists Runge and C.D. Friedrich connected weather phenomena and color directly with natural science. In the later perception of the world, as developed in part by Heinz von Foerster at the latest since the cybernetic models in the second half of the 20th century, nature then becomes information and model. Its language, however, comes directly from the material. Because Holzapfel’s works let this language resound, his material-related works also spur a changed awareness of the environment and open up their political dimension. In harmony with Land Art, without being agitation, they call for a respectful stance toward the environment. Starting from this stance, it seems possible to determine anew the relationship between our media-shaped urban spaces and the surrounding landscapes.